Entwicklung der Explosionstechnik

Zur Entstehungsgeschichte dieser Buchreihe und den darin beschriebenen, neuen und bisher unveröffentlichten Erkenntnissen aus der Zusammenarbeit mit Bartknecht:

 Die Herausgabe dieses letzten Werkes von Wolfgang Bartknecht brauchte länger als normal üblich, weil die Originalunterlagen beim Springer-Verlag anscheinend schon etwa im Jahre 1995 „verloren“ gegangen waren, und deshalb sowohl Bilder als auch Graphiken wieder neu erstellt resp. photomechanisch reproduziert werden mussten.

 Als Bartknecht 1998 seine praktische Forschertätigkeit beendete, hatte er Zeit über seine bis­herigen Erfahrungen zu sinnieren. Im Jahre 1988 hatte er anlässlich einer VDI-Tagung in Nürnberg einen heftigen Disput über den Ab­lauf einer Staubexplosion mit Geoff H. Lunn (HSE Buxton, GB), den er quasi als Nicht-Könner angriff. Zehn Jahre später (1998) nahm er seine noch verbliebenen Photokopien der Originalmesskurven her­vor, bewertete diese nach dem Modell von Geoff H. Lunn und musste zugeben, dass er diesem verbal Unrecht angetan hatte. Er hat sich nie darüber geäussert, was er dabei anders ausgewertet habe, nur dass er dabei feststellen musste, dass es ein Fehler war, alle Messkurven (ausser denen zu pmax– und KSt-Werten) zu ver­nichten. Daher konnte er das Modell von Lunn auch nicht weiter verfolgen.

 Dies war ihm eine Warnung, dass nicht unbedingt alles, was er bisher aus drei Messpunkten inter- und speziell extrapoliert hatte, in der Praxis auch zu erhöhter Sicherheit führen müsse. Sein Vorge­hen mit doppelt logarithmischer Darstellung – falls der lineare Zu­sammenhang nicht passte – hat die Ergebnissicherheit einer Extra­polation ja wohl auch nicht unbedingt vergrössert.

Bartknecht – und später seine delegierten Nachfolger – haben ak­tiv in zahlreichen, mit Themen zur Explosionssicherheit befassten Gremien mitgewirkt. Daher beruhen auch viele der heute noch gel­tenden Verordnungen und Richtlinien zumindest teilweise auf sei­nen Erkenntnissen, bzw. auf den daraus – auch von anderen Auto­ren – gefolgerten Verallgemeinerungen. Im vorliegenden Buch weist Bartknecht aber deutlich auf die doch oft recht begrenzte Aussage­kraft der Extrapolationen dieser (zum Teil aus wenigen Messpunk­ten gewonnenen) Erkenntnisse hin. Es erscheint daher nicht abwe­gig, auch die Aussagen und Auflagen des bestehenden Regelwerks zum Explosions-Schutz bzw. zur Explosions-Sicherheit sowie deren Verbindlichkeit dahingehend ebenfalls neu zu überdenken.

Auch in dieser, Bartknechts letzten Ausgabe, sind bei den graphi­schen Darstellungen keine Messfehlergrenzen angegeben, weil entsprechende Messprotokolle nicht mehr vorhanden sind. Hinzu kommt, dass bei verschiedenen Graphiken Einzelmesspunkte von deren Zeichnern an gewünschte Orte versetzt worden sind. Die dar­aus resultierende scheinbare Präzision kann auch den unvoreinge­nommenen Fachmann zu unverhältnismässigem Vertrauen in die Aussagekraft der betreffenden Graphik verleiten, bzw. verleitet ha­ben.

Als im Jahre 1997 Untersuchungen der Temperaturabhängigkeit der Mindestzündenergie von Niacin durchgeführt wurden, fand man heraus, dass hier die Mindestzündenergie mit zunehmender Tempera­tur ansteigt, und nicht – wie die Extrapolationen von Glarner aussa­gen – abfällt. Der Grund dafür ist, dass Niacin bei steigender Tem­peratur sublimiert, d.h. fast schlagartig vom Fest- in den Gaszu­stand übergeht und dabei die obere Explosionsgrenze übersteigt. Dieses ist ein typisches Beispiel jener unbekannten Explosionspa­rameter, die nicht berücksichtigt werden konnten.

In seinem letzten Werk wird Bartknecht mit Voraussagen sehr vor­sichtig und weist immer wieder auf die Lücken seiner Forschungs­arbeiten hin. Eine weitere ungelöste Problematik liegt in der Tatsa­che, dass bei Stäuben pmax– und KSt-Wert bei einem hohen Turbu­lenzgrad des Staub-Luftgemisches beschrieben werden. Bei Gasen werden diese Werte hingegen an ruhenden Gemischen bestimmt. Manche Gase neigen schnell zu Detonationen mit weit höheren Werten von pmax– und KG-Wert. Dieses wird zurzeit teilweise durch Turbulenz – und Vordruckeffekte erklärt, also auch hier weitere un­bekannte Explosionsparameter.

Als erfahrener Praktiker wusste Bartknecht, wie schwer es war, in der industriellen Praxis nicht nur mögliche (und realistische) Explo­sionsabläufe vorherzusagen, um dann entsprechende (konstruktive) Schutzmassnahmen planen zu können, sondern auch um die, oft als extrem empfundenen Anforderungen des vorbeugenden Explosi­onsschutzes. Nicht umsonst hatte er darauf hingewiesen, dass es auch bei brennbaren Stäuben und entsprechender Geometrie der Örtlichkeit zu detonationsähnlichem Explosionsablauf kommen kann. In seinen im Grossmassstab durchgeführten Experimenten hatte er diese – von ihm als „Quasidetonationen“ bezeichneten – Vorgänge beobachtet. Er war sich allerdings darüber im Klaren, wie schwer es war, diese Erkenntnisse in der industriellen Praxis zu verwerten.

Diese Feststellungen sollen keineswegs die Forschungsleistungen Bartknechts schmälern. Nicht nur als seine ehemaligen Schüler bringen wir ihm grossen Respekt entgegen, ist es ihm doch als einem der Ersten gelungen, systematische Forschungsergebnisse in einem sehr beschränkten Gebiet industrieller Explosionen zu erbringen, die auf jeden Fall richtungsweisend waren. Er weist in seinen Büchern aber auch selbst auf die vielen, noch zu untersu­chenden, offenen Probleme – nicht nur bei Staubexplosionen – hin, um mögliche Explosionsabläufe auch nur annähernd voraus­bestimmen zu können, zum Beispiel:

  • Einfluss der Geometrie des Explosionsraumes (von kugelförmig zur Rohrstrecke) und vorhandener Einbauten, wie weit kann man diese als Oberflächenrauigkeit behandeln?
  • Substanzeigenschaften: Temperatur, Vordruck, Sauerstoff­ge­halt, Turbulenz, Homogenität, Siede-/Sub­lima­tions­ver­hal­­ten.
  • Wirksamkeit „betrieblicher“ Zündquellen, Lage des Zündortes.
  • Kann man die Chemie der Verbrennungsvorgänge charakterisie­ren?

 Trotz und wegen (!) dieser Hinweise auf die vielen, für die be­triebliche Praxis aber oft von entscheidender Bedeutung seienden Unsicherheiten, stellt das vorliegende Werk ein unverzichtba­res Werkzeug in der Hand sowohl des Praktikers als auch des For­schers dar. Insbesondere aber ist es ein Geschichtsbuch über die Entwicklung der Explosionstechnik der letzten hundert Jahre ohne Anspruch, bei derart vielen offenen Problemen, auf den neuesten Stand der Technik zu haben.

Binningen, den 21. Januar 2018

Prof. Dr.-Ing. Franz Schmalz          Dr. sc.techn. Günther Pellmont